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Studie zu Plan 4 DIN A0
Pergamin, Methylcellulose auf Papier
84,1 x 118,9 cm
Berlin, 2016 -
Plan 4 DIN A0
Pergamin, Acryl, Methylcellulose auf Papier
168 x 237 cm
Berlin, 2016
Studie zu Plan 4 DIN A0
Pergamin, Methylcellulose auf Papier
84,1 x 118,9 cm
Berlin, 2016
Plan 4 DIN A0
Pergamin, Acryl, Methylcellulose auf Papier
168 x 237 cm
Berlin, 2016
Björn Streeck
1983 born in Berlin, Germany
2022 Projectspace Award, Berlin State
2022 Stiftung Kunstfonds
since 2017 Sox, organisation & curatorial team
2016-2017 Meisterschüler, Prof. Friederike Feldmann
2014-2017 Grant, Studienstiftung des deutschen Volkes
2011-2016 Fine Art/ Painting, Weißensee Kunsthochschule Berlin, Germany
4.-7.2023 Teaching assignment, Klasse Kerstin Drechsel, Hochschule für Grafik & Buchkunst Leipzig, DE
4.-7.2023 Teaching assignment, Klasse Anne Neukamp, Hochschule für Bildende Künste Dresden, DE
11.7.2021 Lecture, Klasse Anne Neukamp, Hochschule für Bildende Künste Dresden, DE
24.11.2020 Lecture, Klasse Friederike Feldmann, Weißensee Kunsthochschule Berlin, DE
Glänzend und nicht von dieser Welt, 2022
Im Winter 2021/22 gleicht der Ausstellungspavillon des BKV Potsdam auf der Freundschaftsinsel einem Spiegelkabinett, ohne dass ein einziger Spiegel zum Einsatz käme. Der in Berlin lebende Maler und Grafiker Björn Streeck hat eine raumgreifende Installation geschaffen, auf der einerseits die Ausstellungswände aus der rechtwinkligen Ordnung der Architektur heraustreten. Fast scheint es, als wollten die Präsentationsflächen dem System der Moderne entkommen, auf die sich das Gebäude mit seinen Rastern bezieht. Andererseits aber hat Streeck in großformatigen Gemälden und am Ort entstandenen Wandarbeiten eine Echokammer malerischer Gesten geschaffen, die zu einem unauflösbaren Vexierbild verschmelzen. Was in diesem Schaufenster Architektur, was Bildträger ist, wird dabei ebenso zweifelhaft wie die Frage, was malerische Entscheidung und was Muster, was kunsthistorische Referenz und was Hintergrundrauschen aus dem kollektiven Unbewussten malerischer Formfindung ist.
Ausgerechnet im Pavillon auf der Freundschaftsinsel arrangiert Streeck damit ein Experiment, das quer zu allen schönen Verlässlichkeiten der Kunstgeschichte und den Ideologien steht, die sich seit jeher in ihr verbergen. Im Pavillon, einem spätmodernistischen Provinzschmuckstückchen der DDR-Baugeschichte, das in einer gefühllosen Sanierung mit westdeutsch codierten Aluminiumfassadenelementen auf eine Zeitreise ins architektonische Niemandsland geschickt wurde, stellt er die Verlässlichkeit aller etablierten Grundannahmen über die Abstraktion der Moderne in Frage. Dabei geht er nicht wie die tonangebende Kunstwissenschaft von einer langen Kette prägender Werkleistungen aus, die in einem miteinander verquickten Referenzsystem Schritt für Schritt zu einer Evolution der Moderne führen. Streeck steht eher am anderen Ende der Formgeschichte, dort wo in den Investorenprospekten der Immobilienentwicker seltsame Hybride an Apartmentwänden erscheinen: Tafelbilder hinter Glas, die wie Klone aus Matisse und Miró, Picasso und Léger aus den Bedeutungszusammenhängen abgesprengte Grundformen der Moderne in gefahrlose Dekore konvertieren. Lémarós und Pollella sozusagen, Homunkuli der Raumaufwertung.
Das ist es, was Streeck jedoch weniger innerhalb der Schwundstufen des Dekorationshandwerks, sondern viel ernsthafter an den heiligen Beständen der Kunstgeschichte interessiert. Er folgt in seinem Werk einer ausgeprägten Faszination an einer Struktur- und Formgeschichte der Grafik und Malerei, die in verselbständigten Typologien in unserem Bildgedächtnis haften bleiben. Wenn es einen kleinsten gemeinsamen Nenner der modernistischen Innovations- und Entwicklungsgeschichte gibt, das Inventar der Formen, die in das kollektive Vokabular der kreativen Klasse eingehen, dann forscht Streeck gewissermaßen an der Absurdität ihrer Aktualisierung.
All die systematischen Antworten der Kunst auf diese Fragen sind ihm bekannt. Subjektive Gesten, die Integration des Zufalls, die Bezugnahme auf den Körper, die Serialität – Kunst hat einen unermesslichen Methodenbausatz geschaffen, in dem sich die Abstraktion rekonfigurieren lässt. Streeck aber interessiert sich nicht nur für das geglückte Bild als Meilenstein einer historischen Evolution, sondern ebenso sehr das unterlassene Bild, die Alternative zur formalen Entscheidung, die unrealisierte Möglichkeit.
Im Pavillon, der historisch einmal Ausstellungsort eines Künstlerverbandes war, der große Teile der Moderne aus seinem Repertoire ausklammerte und in dem in den letzten Jahrzehnten die Ideologieströmungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wie zum augenblickshaften Wettstreit aufeinanderprallten, stellt Streeck uns Formentscheidungen in abgewandelten Aggregatzuständen vor. Ist die Wand mit dem Liniengeflecht Architektur? Ist eine Form in unterschiedlichen Verdichtungszuständen eine illegitime Nachkommenschaft aus einer Affäre des subjektiven Ausdrucksvermögens mit dem Design und seinen unendlich gewordenen digitalen Variationspotentialen? Ist der Pavillon, anders als wir all die Jahre dachten, selbst eine Simulation?
Es wäre ein amüsanter Fehlschluss, hier den konservativen Rückzug anzutreten und auf ein authentischeres Kunstwerk oder eine figürliche Ehrenrettung zu hoffen. Björn Streeck bietet etwas anderes an. Er legt uns nahe, die Komik in der Hetzjagd nach den Aktualisierungen der Formgeschichte zu sehen. Und wenn nachts, zur kunsthistorischen Geisterstunde, der Pavillon wie ein Schaukasten auf der Insel leuchtet, scheint es, als würden sich Streecks elegant verselbständigte Formen und Anti-Formen von den Wänden steigen. Morgens bilden sie dann wieder einen ordentlichen Ausstellungsraum.
Gerrit Gohlke
Zur Arbeit, 2021
Ich benutze für meine Arbeiten Papier oder andere flache Materialien, die auf der Bildoberfläche zu komplexen Schichtungen heranwachsen. Es kommt dabei zu Überlagerungen von diversen Oberflächenstrukturen, Materialien und Farben. Dünnes Seidenpapier und transparentes Pergamin über Buntpapier und Rauhfasertapete bis hin zu unterschiedlichen Kartonarten werden ebenso wie Leinen und Folie eingearbeitet. Das Ergebnis dieser Materialvielfalt ist eine reliefartige Struktur.
Die Arbeiten entstehen in fortlaufenden Prozessen, mit materiellen Erweiterungen, durch Zufälle und Wandlungen. Gleichzeitig erzeugen die Arbeiten bis zuletzt den Eindruck, die Bilder befänden sich in einem nie abgeschlossenen, transformatorischen Zustand. Das visuell und taktil Erfassbare drückt nicht nur die formale, sondern auch inhaltliche Vielschichtigkeit aus. Meine Suche nach einem – oder gar nach dem einen – Schlüssel für meine Erfahrungen in der Welt führt zur Erkenntnis, dass eine exakte Deutung kaum möglich ist. Deshalb vermischen sich in meiner künstlerischen Herangehensweise durch das Konzept von Kreisläufen und Wiederholungen diverse miteinander konkurrierende Konzepte: Agon und Fortschritt treffen auf Identitätsfindung und Selbstpositionierung.
Was ist dabei Form, was Bedeutung? Diese Unterscheidung ist schwer aufrecht zu erhalten, denn meine Inhalte entstehen aus den Materialien selber und werden nicht nur lediglich formal durch sie kommentiert. Bei einer derart formulierten Abwesenheit eines Ziels gibt es keine Suche nach einem alles beherrschenden und einheitlichen Grundprinzip, weshalb ich ein Zusammenspiel und Ineinanderfließen der Gegensätze und Materialien anstrebe.
Die Arbeiten der Serie «Edwardian Paintings» sind keine Malereien, sondern Scherenschnitte, die spätbarocke und viktorianische Formen so weit vergrößern, bis sie durch Trennungen und Spaltungen des Materials zu Schleifen und Kurven werden. «Edwardian» bezieht sich mitnichten nur auf den Post-Viktorianischen Edwardian Style in England zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern auf den Film «Edward mit den Scherenhänden», eine Tragikomödie des Regisseurs Tim Burton von 1990. Edward ist ein künstlich erschaffener Mensch, der statt Händen eine komplizierte Scheren-Konstruktion hat, mittels der er mit der Welt Kontakt aufnimmt und sie gestaltet. Es ist eine Geschichte darüber, wie er versucht, sich Gehör zu verschaffen; wie er Gefühle im anderen auslöst; wie er zu anderen durchkommt und oft daran scheitert, Gemeinsamkeit herzustellen und am Ende zu seinem eigenen Schutz isoliert bleibt.
Wir müssen wie Edward erkennen, dass es nicht unsere Welt ist, sondern die von Materialien – auch Gefühlsmaterial – und wir lediglich in dieser hausen. Nicht die Menschen leiten die Dinge an, sondern die Menschen werden von der Materie geleitet. Das Material selber ist immer schon bei sich, während Menschen unter einem folkloristischen und identitätsgesteuerten Konzept von Fremdheit, Freundschaft, Geschichte, Tradition und Entfremdung leiden. In der Serie «Live Caricature Artist» schwanken deshalb die Linien und Fratzen der Gesichter zwischen Aufbegehren gegen und Hingabe an einen Wahnsinn, der in eine gesellschaftliche Realität und deren Konventionen eingebettet ist.
Meine Werke konstituieren sich aus unseren sozialen Beziehungen. Dazu werden die Abhängigkeiten der Dinge und die in ihnen angelegte Virtualität und ihr potentielles Anderssein, stärker gewichtet als ihre exakten Bestandteile. Das Kontextuelle wird priorisiert und eine egozentristische Kontrolle aufgegeben. Dies ist mit einer Kraft vergleichbar, die Bescheidenheit erfordert, weil sie außerhalb von Beziehungen steht und deren intentionalen Aspekte negiert.
Der Rohstoff an und für sich ist frei von all diesen Einflüssen und nur an seine eigene Präsenz gebunden; er geht jedem Kunstwerk voraus. Meine Materialien sind zuerst und vor allem der Präsenz und nicht der Repräsentation verpflichtet. Schließlich bilden sie bereits die Form, wie meine im Werden begriffenen Kunstwerke in dieser Welt auftauchen. Diese Disposition schafft eine besondere Subjektivität meiner Arbeiten, an deren Entwicklung wir alle teilhaben können.
Deutungswerkzeuge, Sina Jentzsch 2019
In grenzenlosen Möglichkeiten ist die grenzenlose Angst davor meist inbegriffen.
Menschen suchen nach Methoden der Sinnstiftung und Strukturierung ihrer Wirklichkeit. Religion, Mythen, Orakel oder spirituelle Praktiken wie das Tarot scheinen Mittel für das menschliche Bedürfnis nach Klärung zu sein. Björn Streecks Arbeiten sind Deutungswerkzeuge für die Unklarheiten unserer Wirklichkeit und die scheinbaren Unüberbrückbarkeiten des Zusammenlebens darin. Sie sind gewissermaßen Helfershelfer für die Selbst- und Fremderkenntnis. Informationen, die Streeck im Alltag, seiner Umgebung, mit seiner Familie und Freunden sammelt, und die im Austausch von Innen und Außen, sozialem Miteinander und deren Diskrepanzen entstehen, dienen ihm als Utensilien. Seine Arbeiten sind Bilder des Ordnens dieser Informationen. Hauptsächlich arbeitet Streeck auf und mit Papier oder anderen flachen Materialien, die auf der Bildoberfläche zu vielschichtigen Gebilden heranwachsen. Die Überlagerung verschiedener materieller und formaler Ebenen ist ein entscheidendes Mittel im künstlerischen Herstellungsprozess und der Wirkung der Arbeiten. In ihnen treffen Formen, Oberflächenstrukturen, Materialien und Farben auf einander, verweben und reagieren miteinander. So werden sie zu einer Analogie der Wirklichkeit, in der sich ständig Dinge, Subjekte und Immaterielles begegnet, annähert, überlagert oder abgrenzt. Streecks Arbeiten muten wie eine Chiffre dieser komplexen Netzwerke an und stellen dadurch nicht nur die Ordnung von Information dar, sondern sind auch als konkrete Kommunikationsversuche zu verstehen. Figuren befinden sich in einem ständigen Übergangsmodus zwischen der konkreten Form und ihrer Auflösung. Streeck fixiert diesen Moment des Schwellenzustands, der ständiger Zustand alltäglicher Wirklichkeit für alle daran Beteiligten ist. Analog dazu entstehen die Arbeiten selbst in fortlaufenden Prozessen, materiellen Erweiterungen, Zufällen und Wandlungen, die bis zuletzt den Eindruck erzeugen, die Bilder befänden sich in einem nie abgeschlossenen Zustand, aus dem Streeck eine Momentaufnahme abbildet. Dabei verleugnet sich das flache Medium jedoch niemals, denn obwohl die Arbeiten teilweise durch diverse Material- und Formschichten eine Tiefenwirkung und Objektcharakter erzeugen, entwirft Streeck zu keinem Zeitpunkt einen illusorischen oder ideellen Raum. Der Betrachter blickt auf materielle, flache und vor allem bildhafte Verweise komplexer Netzwerke unserer Realität. Dabei sind Streecks Arbeiten flach, objekthaft, bildhaft, abstrakt und figurativ zur selben Zeit. Er versperrt sich mit seiner Kunst also einer genauen Zuordnung und hält sich selbst als Künstler sowie seine Arbeiten in einem ständigen, nie abgeschlossenen Zwischenzustand. Die Bilder als Deutungswerkzeuge sind und bleiben also in sich wiederum Bilder der Uneindeutigkeit. Darum werden sie zu Projektionsflächen und lassen eine Parallelität zwischen dem, was in den Bildern dargestellt wird und Ereignissen und Fragen im Leben des Betrachters entstehen. Das erlaubt einen Einblick in Björn Streecks Idee von Weltanschauung, in der Alles, wir alle, auch Streeck selbst und seine Kunstwerke „nur“ Werkzeuge in einem größeren Wirr-Warr sind.